Mittwoch, 22. Juli 2009

Ötztaler Marathon - free solo & unsupported

Es konnte ja nicht anders kommen. Nach zwei Monaten selbsterteiltem "Fahrverbot" hat sich der Bewegungsdrang durchgesetzt. Gestern also habe ich ein lang erträumtes Projekt verwirklicht: Die Umrundung der Stubaier mit dem Rennrad über Brenner, Jaufenpass, Timmelsjoch und Kühtai.
Der Start war zu Hause kurz vor 6 Uhr, um die gesamte Tageslänge zur Verfügung zu haben. Das erste Teilstück über den Brenner war schon etwas entmutigend: Ich komme schwer in den Tritt, die gewohnte Leichtigkeit fehlt mir, ein bisschen Zweifel an der Realisierbarkeit der Vorhabens kommen auf. Die Abfahrt nach Sterzing macht jedoch Spaß (obwohl ich in aller Regel keine große Freude am Abfahren habe) und am Beginn des Jaufenpasses beginne ich, mich wohl zu fühlen. Ich lasse meine Beine treten und die Gedanken frei. Kurz unterhalb der Passhöhe wache ich auf, ein Radler neben mir hat mich angesprochen und fragt mich nach meinen Zielen für heute. Etwas zögernd gebe ich meinen Plan bekannt, ernte dafür Anerkennung, die mich in meinem Vorhaben bestärkt. Ein paar Schlucke gesalzenes Apfelschorle (bäh!), ein Obstriegel und hinunter geht's nach St. Leonhard. Auf der Abfahrt erinnere ich mich an meine Fahrt über den Jaufen zwei Monate zuvor, die mangels Verpflegung unerwartet schwer geworden war. Heute soll es besser gehen.
In St. Leonhard empfängt mich Hitze, aber diesmal kann ich dank der zwei Trinkflaschen besser damit umgehen. Das nun bevorstehende Timmelsjoch hat meinen vollen Respekt, zumal ich es noch nicht kenne. Die Steigungsprozente in Kombination mit der Länge sind auch für Pässeradler nicht alltäglich. Mit diesem Wissen lasse ich es langsam angehen und gewinne stetig an Höhe, unterbrochen nur vom Nachfüllen der Trinkflaschen. Das Panorama drängt mich nicht, schneller zu fahren, es gibt genug zu sehen. Trotz des makellosen Wetters sind relativ wenig Radler unterwegs, ich werde weder überholt noch überhole ich. Kurz unterhalb des ca. 500 m langen, unbeleuchteten Tunnels packe ich die Lampen aus, die ich extra für dieses Teilstück in der Satteltasche mitführe, dann ist die Passhöhe auch schon in Greifweite. Gegen 14 Uhr bin ich oben, hier wimmelt es geradezu vor Radlern, die offenbar von der Ötztaler Seite heraufgefahren sind.
Mit Ausnahme der kurzen Gegensteigung vor der Mautstelle folgt nun eine etwa 50 km lange Abfahrt durchs Ötztal, bis in Ötz der Abzweig Richtung Kühtai kommt. Noch einen Riegel reinschieben (von schmecken kann in dem Moment keine Rede sein, liegt aber nicht am Riegel) und dann gehts gleich mit einer ordentlichen Steigung in den letzten Anstieg. Diese Seite des Kühtai ist mir noch unbekannt, wenn auch ich von den 16% Steigung weiß. Nur mühsam steigt der Höhenmesser, kurz vor Ochsengarten muss der letzte Riegel dran glauben. Dann ausgerechnet in der Rampe wird eine neue Galerie gebaut und die Straße ist nicht asphaltiert. Mehr als einmal bin ich kurz vorm Umfallen, weil mir bei der geringen Geschwindigkeit das Hinterrad durchdreht. Dann schließlich kommt der untere Stausee, schließlich die Passhöhe in Sichtweite und mir wird klar, dass ich es geschafft habe.
Die Abfahrt vom Kühtai, gut bekannt von vielen Touren, fahre ich "auswendig". Nach Kematen beginnt die Übelkeit, die mich am letzten Abschnitt begleitet hat, nachzulassen und ich beginne, über das Abendessen nachzudenken. In Innsbruck schließlich habe ich den Rundkurs "geschlossen", der Heimweg findet wieder im Halbschlaf statt.

Es wäre gelogen zu sagen, dass es einfach war, aber auch nicht so schwierig, dass ich in irgendeinem Moment an Aufgeben gedacht hätte. Der härteste Teilabschnitt war natürlich das Kühtai am Schluss, die Abfahrt vielleicht noch mehr als der Anstieg. Ein bisschen besser trainiert (die Gesamtkilometerleistung in diesem Jahr liegt noch unter 2500km), dann hätte es auch am Ende noch mehr Spaß gemacht.
Ohne Unterstützung (weder Fahrzeug noch Rennradkollege) war für mich die einzige denkbare Art, diese Tour zu fahren. "free solo & unsupported" heißt, dass ich während der Fahrt auf keinerlei Unterstützung (weder Windschatten noch Verpflegung oder Material) zurückgreifen konnte, lediglich die Brunnen am Wegesrand dienten zum Auffüllen der Trinkflaschen. Eine eher unübliche Variante, das Autarkiebestreben ist unter Rennradfahrern leider wenig ausgeprägt.

Zu den Daten: knapp 240km, ca. 5500 Hm, 13 Std. Fahrzeit
Was ich dabei hatte: 10 Obstriegel, 1 Liter Apfelsaft mit Salz und Zucker (zum Verdünnen mit Wasser); Ärmlinge, Beinlinge, Windjacke; Reserveschlauch, Flickzeug, Reifenheber, Pumpe; Handy.
Was mir gefehlt hat: Kamera
Was zuviel war: Beinlinge, Ärmlinge (Temperaturen zwischen 10°C am Timmelsjoch und 30°C in St. Leonhard)